Helga Sophia Goetze
Vita
Am 12. März 1922 in Magdeburg als Helga Troch geboren, verbrachte sie dort ihre Kindheit und besuchte bis zur Prima ein Lyzeum. Zur Leistung des obligatorischen ‚Reichsarbeitsdienstes’ wurde Helga 1939 zu Verwandten in Hamburg-Wilhelmsburg geschickt. 1942 heiratete sie den Bankier Curt Goetze, mit dem sie sieben Kinder bekam. Nach den letzten Kriegsjahren auf Usedom und den ersten Nachkriegsjahren in der Lüneburger Heide, lebte Helga zwanzig Jahre als Hausfrau und Mutter in Hamburg-Neugraben. Während dieser Zeit war sie Mitglied bei den Deutschen Unitariern, einer konfessionslosen Religionsgemeinschaft, sowie im Verein für Kriegsdienstverweigerer. Großes Interesse hatte sie damals an Reformpädagogik und Anthroposophie. Ab den 1960er Jahren besuchte sie regelmäßig Veranstaltungen der Freien Akademie auf Burg Ludwigstein. 1966-1968 ließ sie sich zur Wirtschaftsleiterin ausbilden.
Bei einem Italien-Urlaub anlässlich ihrer Silberhochzeit begegnete Helga dem Italiener Giovanni, in den sie sich verliebte. Die sexuellen Erfahrungen mit Giovanni waren für sie ein Erweckungserlebnis. Ab 1970 schrieb Helga in Hamburg Annoncen, um Männer kennen zu lernen. Sie begann ihre Erlebnisse mit Malen, Dichten und Tagebuchschreiben zu verarbeiten. Erst später begann sie auch zu sticken. In ihrem Haus in Hamburg-Neugraben nahm sie uneheliche Mütter und Drogensüchtige auf. 1972 gründete sie ein Institut für Sexualinformation. Erste Auftritte in dem Veranstaltungszentrum Fabrik folgten. 1973 löste dann die TV-Sendung Hausfrau sucht Kontakte einen Skandal aus. In Anspielung auf eine BILD-Schlagzeile ist ihr erster Gedichtband Hausfrau der Nation oder Deutschlands Supersau benannt.
Erst Mitte der 1970er Jahre zog Helga in eine Wohngemeinschaft um und ließ sich scheiden. Für einige Wochen arbeitete sie damals in einem Männerheim der Caritas - bis diese merkten, wer sie war. Sie trat mit ihren Gedichten in Kabaretts auf. Mehrmals besuchte Helga die Kommune Friedrichshof von Otto Mühl, wo sie jedoch von einigen Kommunarden als zu alt für sexuelle Bedürfnisse befunden wurde. In Hamburg gründete sie ihre eigene Gruppe mit freier Sexualität. 1977 zitierte sie zum ersten Mal ihre Gedichte auf der Spitaler Straße - weil ihr die offizielle Teilnahme am Festival Literatrubel verwehrt worden war.
1978 zog Helga nach Berlin-Kreuzberg. Neben Auftritten bei den Stachelschweinen, bei dem Tunix-Kongress und verschiedenen alternativen Festivals begann Helga ihre tägliche Mahnwache vor der Technischen Universität. Später rezitierte sie täglich ihre Gedichte vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, wo sie bis 2008 jeden Tag mit sehr verschiedenen Menschen ins Gespräch kam. Ihre Gespräche mit Rosa von Praunheim führten 1982 zu dem Film Rote Liebe und einem dazugehörigen Buch. Mit der Fernsehsendung Neue Nackte, neue Einsichten, in der Helga sich vor laufender Kamera auszog, provozierte sie im selben Jahr erneut die öffentliche Diskussion.
Am Haus Schlüterstr. 70 in Berlin-Charlottenburg hing eine Tafel mit der Aufschrift: „Galerie: geni(t)ale UNIVERSITÄT - offenes Museum - Täglich geöffnet v. 17°° - 19°° außer Sa. Helga Sophia (Goetze)“. Auch in ihrer Wohnung hatte sie also regelmäßig interessierten Besuch und anregende Gespräche, die sie zu immer neuen Gedichten oder Stickereien inspirierten. Um 1990 rezitierte Helga ihre Gedichte in einer wöchentlichen Märchenstunde. Im Laufe der der 1990er Jahre war Helga zu Gast bei Talkshows mit Ilona Christen, Bärbel Schäfer und Jürgen von der Lippe. Am 12. März 2000 gründete sie mit FreundInnen den Verein Metropole Mutterstadt e.V., dessen stellvertretende Vorsitzende sie zu Lebzeiten war. 2003 drehte Monika A. Wojtyllo über Helga den Film Sticken und Ficken, der auf verschiedenen Festivals gezeigt wurde. 2005 gab es eine Neuauflage ihrer Gedichte, 2007 von dem Buch Rote Liebe.
Nach einem Schlaganfall im Sommer 2007 zog Helga in ein Pflegeheim in der Lüneburger Heide um, wo sie am 29. Januar 2008 starb. Im Mai 2009 wurde auf ihrem Grab auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin eine Keramik der Künstlerin Ana von Keitz aufgestellt. AH